André Vladimir Heiz, Donnerstag, 14. Dezember 2017
In den kommenden Tagen wird im Gelben Haus in Flims
die Ausstellung „Gondelträume und Aussichten“ eröffnet.
Sie ist Teil einer Trilogie, die mit „Luft Seil Bahn Glück“ überschrieben ist.
Vor einem Jahr war ich auf dem Weg nach Flims.
Eröffnet wurde die Ausstellung „No Name Design“,
die der Wunderkammer des Designers Franco Clivio gewidmet war.
Ich durfte an der Vernissage die Ansammlung stummer Alltagsgegenstände
zur Sprache bringen. In Räumen, die der Sache tatsächlich dienen.
Ich folge hier dem Wortlauf meiner Einführung
und stelle sie Interessierten zur Verfügung.
Eine willkommene Gelegenheit, darauf noch einmal zurückzukommen
und der Erinnerung das Wort zu reden:
Schnee fällt, ich erinnere mich. Ich bin auf dem Weg ins Bündnerland.
Ich war noch nie in Flims.
„Wer nicht hier war, war nie in den Bergen“.
Das Portal „Schweiz. ganz natürlich“, das mich auf Facebook verfolgt,
verknüpft den Slogan mit einer sagenhaften Bildwelt, die zum Aufbruch verführt.
Die Nacht kommt früh. Das Postauto hat Verspätung.
Von der Station in Flims sind es nur ein paar Schritte hinauf.
Zum gelben Haus, das bekanntlich jetzt weiss ist, ich erinnere mich.
Ich sehe es in Wirklichkeit zum ersten Mal.
Ich kenne es von Bildern, eine Form der Darstellung,
die einer bestimmten Vorstellung von Architektur zuspricht.
Die „Abbildungen“ betonen das Denkmal des Solitären;
sie zeichnen das Ereignis des skulpturalen Einzelfalls aus.
Nun stehe ich leibhaftig davor: das gelbe Haus, ein Findling, ein Leuchtkörper
an diesem Ort und in der Zeit. In Flims in seiner vertrauten Umgebung.
Es trägt die dezidierte und schnörkellose Handschrift
des Architekten Valerio Olgiati (www.oligati.net).
In seiner Gegenwart ist es ein Zeichen des Durchgangs -
an der belebten Dorfstrasse.
Als Ahnung der Vergangenheit, als Wink in die Zukunft
ist es gleichzeitig auch ein Merkmal des Übergangs.
Ich erinnere mich. Das steht auch da. Aber woran genau?
Eine wegweisende Frage!
Wenn ich sie auf der Stelle ernstnehme,
will ich den Begriff durch „vergegenwärtigen“ ersetzen oder ergänzen.
Gerade im Hinblick auf Architektur und Design. Als Geschichte und Gegenwart.
Ich habe die Ausbeute der versammelten Fundstücke,
die im Gelben Haus ausgestellt sind,
zum ersten Mal im Haus von Franco Clivio entdeckt.
Selbstverständlich naheliegend in ihrem Dasein,
heimlich unerkannt in Ihrem Sosein.
Wohin damit?
Das Werkzeug sollte zum Zeugwerk werden,
indem es (sich) zeigt, "was das Zeug hält".
Bereits bei der ersten Ausstellung im MUDAC
Ende Oktober 2013 in Lausanne
durfte ich zur Eröffnung mit einer Handvoll Beobachtungen
zur Sache kommen.
Und nun erwartet mich das Cabinet de curiosités im Gelben Haus,
das sich für diese Art eklektischer Ausstellung idealtypisch eignet.
Ich erinnere mich. Ich wiederhole. Nur woran?
Wenn ich mir die Ausstellung vergegenwärtige,
stellt sich ein Gesamteindruck ein. Unter diesem Dach in Flims.
Damit habe ich aber den Überblick noch lange nicht.
Um mir eine annähernde Übersicht zu verschaffen,
muss ich die entsprechende Publikation zur Hand nehmen,
die wie ein naturwissenschaftliches Kompendium
das beeindruckende Inventar veranschaulicht.
Die Ansichten jedoch erlauben mir auch nicht in jedem Fall,
die Magie des Gegenstandes im Einzelnen zu durchschauen.
Die Eigentlichkeit erschliesst sich letztlich erst im Gebrauch!
Greifen und Ergreifen sagen dem Begreifen, wo es lang geht.
Das gestisch körperliche Gedächtnis ist der Erinnerung um eine Nasenlänge voraus.
Es braucht keine erkenntnistheoretische Beihilfe.
Der Körper ist auf dem Laufenden. Das Denken hat das Nachsehen.
Ich lerne ja Gegenstände nicht „auswendig“ wie Gedichte oder Zitate.
Was ich anhand von Abbildungen und ausgestellten Stücken begreife,
habe ich noch lange nicht selbst im Griff – oder gar selbst gemacht!
Darauf aber bringt mich der Charme der Darstellung,
weil die Anschauung und die Bewunderung von jener Distanz leben,
die mich, meine Augen und Hände vom Zugriff auf die Dinge trennt.
Die Erkenntnis kommt mithin zuhause, in der Küche zum Beispiel,
wo mich ein vertrauter Gegenstand wortlos an die Ausstellung erinnert.
Die Ausstrahlung der ausgestellten Vorhandenheiten
werden in der Gegenwart zu dem was sie tatsächlich sind: Zuhandenheiten!
Ich selbst erinnere mich im situativen Gebrauch nur daran,
wo sich der Gegenstand befindet, wie etwa der legendär verlorene Schlüssel.
Da aber ist er ja, der gewünschte Gegenstand, zum Greifen nah.
Glück gehabt. Auf die Gewohnheit ist Verlass. Und los geht’s.
Diese Selbstverständlichkeit braucht – wie es der Titel der Ausstellung sagt –
keine besonderen (Eigen)Namen, keine symbolische Einkleidung
und keine metaphysische Aufrüstung.
Es geht etwa um eine Sauce Hollandaise oder schlicht und ergreifend um Rührei.
Gegenstände dienen selbst wieder dem Entstehen!
Einfachheit ist eine Errungenschaft.
Nun sind es aber die Gegenstände
- und eben nicht das epigonale europäische Ego - ,
die mich daran erinnern,
wie sie sachgemäss gebraucht werden wollen.
Keine Ursache! Die Sauce Hollandaise sitzt.
Das „kollektive Gedächtnis“ – ich verdanke den Begriff Maurice Halbwachs –
hat immer schon ein gegenständliches Gegenüber wie das Gelbe Haus.
Was sich durch den unmittelbaren Gebrauch ereignet und bestätigt,
ist die Wiederholung, eine Vorform oder Urform der Erinnerung.
Das ist wahrscheinlich der Grundstein dessen,
was Zivilisation in einem lebensweltlichen Sinn bedeutet.
In einer Antwort auf die Frage von Hans Peter Duerr zum Begriff der Zivilsation
schreibt Norbert Elias am 17. Juni 1988 in der Zeit (unterstrichen von mir):
„Die landläufigen Sprachen aber bieten uns zur Darstellung und Erklärung
solcher sozialen Tatsachen fast ausschließlich ideologiegesättigte Begriffe an,
also Begriffe, die es so erscheinen lassen,
als ob diese gesellschaftlichen Wandlungen auf Ziele und Pläne
von Menschengruppen zurückzuführen wären.
Der Begriff der Zivilisation ist einer dieser Begriffe.
Ich konnte nach ideologisch weniger belasteten Begriffen
für langfristige Veränderungen der Verhaltensstandarde
Umschau halten oder aber versuchen, den Zivilisationsbegriff
von seinen ideologischen Belastungen loszulösen
und mit Hilfe von sachdienlichen Belegen
in einen ideologisch neutralen Begriff zu verwandeln.
Ich schaute mich nach anderen möglichen Schlüsselbegriffen um,
fand keinen geeigneteren und entschloß mich endlich dazu,
den Zivilisationsbegriff im engsten Zusammenhang mit reichlichen empirischen Belegen
als ideologisch neutralen Sachbegriff und zugleich als Schlüsselbegriff
einer Theorie zivilisatorischer Prozesse weiterzuentwickeln.“
So geht Norbert Elias in seinen historischen Streifzügen
zu den Umrissen der Zivilisation – nicht von ungefähr –
immer wieder von alltäglichen Gegenständen aus.
Sie spiegeln jene Selbstverständlichkeit,
die in einem chinesischen Sinne mit dem Selbstvergessen einhergehen,
solange der Gegenstand hält, was er verspricht.
Im Augenblick des Gebrauchs nämlich
sind die Formen der Vorstellungen und Darstellungen deckungsgleich.
Noch einfacher: Ich brauche keine Vorstellungen zu haben,
solange der verfügbare Gegenstand erfüllt, was ich von ihm erwarte.
Taugliche Gegenstände haben somit etwas Versöhnliches
und ungemein Beruhigendes. Sie rufen nicht nach einem (deutschen) Diskurs.
Auch wenn jeder bestehende und bewährte Gegenstand
ein glücklicher Umstand sein mag, diesen zu verbessern –
auch das nehme ich selbstverständlich dankbar zur Kenntnis.
Zum Beispiel in der Küche oder am Schreibtisch.
Was dem Vergessen hier nicht anheimfallen darf,
ist die letztjährige Vernissage mit dem Buffet einheimischer Leckereien. Grandios!
Besteck erwies sich als überflüssig. Wurst und Brot, ein Glas: zwei Hände tun es auch!
Ich nahm das Postauto und den Zug wieder zurück ins Unterland.
Auf dem Heimweg dachte ich an zwei liebgewonnene Zeitgenossen:
Carmen Gasser und Remo Derungs.
Gegenwart und Zukunft des Gelben Hauses
liegen in ihrer umsichtigen Wahrnehmung und in ihren initiativen Händen.
Ein Glücksfall.
Die photographische Dokumentation der Ausstellung stammt von Ralph Feiner.
Mit einem beherzten Dank an alle!
- Franco Clivio, Hans Hansen, Pieere Mendell, Hidden Forms: Verborgene Gestaltung –
Dinge sehen und begreifen. Basel 2009, ISBN 978-3764389673.
- Otl Aicher, Robert Kuhn, Greifen und Griffe. Köln 1987, ISBN 3883750611.
- Lucius Burckhardt, unter Mitwirkung von Ettore Sottsass und Dieter Rams,
herausgegeben von Hans Höger, Design = unsichtbar. Berlin 1995, ISBN 978-3893227655.
- Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, Soziogenetische und psychogenetische
Untersuchungen. Frankfurt am Main 1976, ISBN 978-3-518-09934-6.
- Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis. Stuttgart 1967, Frankfurt am Main 1991,
ISBN 3-596-V359-5.
- Yoko Tawada, Überseezungen. Tübingen 2002, ISBN 978-38887691868.
Tatort Fundstück - schlicht und ergreifend
Wie geht es?
Meine verehrten Damen und Herren,
Wie gewohnt steht die geläufige Frage zur Begrüssung in Zeit und Raum.
In der Gegenwart!
Und Sie sind dem Brauch folgend geneigt zu sagen:
Gut! Danke.
Kein Wunder, hier und jetzt in Flims
bei der Eröffnung dieser eindrücklichen Ausstellung,
die den Tatort Fundstück zur Schau stellt.
Anhand von überraschenden Beispielen, ja, Fall-Beispielen,
die zeigen, was Sache ist,
besser: was der Fall ist – wie Ludwig Wittgenstein sagt.
Wie geht es?
Würden Sie mit „geht so“, „so so la la“ oder „eher schlecht“ antworten,
kämen Sie in Zugzwang.
Die Frage nimmt Sie selbst und Ihr Gegenüber in Mitleidenschaft.
Das kennen Sie! Schon sitzen sie in der Falle.
Bauchschmerzen, Augenflimmern, Unwegsamkeiten, böse Überraschungen.
Sie müssten auf die Einschränkung eine Erklärung folgen lassen, so oder anders,
ein einleuchtender, bedeutsamer, gewichtiger, nachvollziehbarer Grund
wird von Ihnen erwartet. Das gehört zum Kundendienst, zum Anstand.
Einfach so, so einfach kommen sie nicht weg.
Warum? Die Kinder-Frage ist der Anfang einer unendlichen Geschichte.
Warum? Die Frage ist mehr als ein Gegenstand, sie ist ein Widerstand.
Sie steht dem Gang der Dinge im Wege. Sie muss behandelt werden.
Darum! Das ist noch keine Antwort. Heraus mit der Sprache!
Heute lieber nicht! Keine Lust auf Langatmigkeit,
Umwölkungen und saure Miene. Gut geht es!
Kurz und gut! Keine Ur-Sache: Das ist die einfachste Lösung.
Gut so. Das enthebt Sie zusätzlicher Anstrengungen.
Weg damit! Augen auf die Gegenwart, auf Gegend und Gegenstände,
die hier und heute die Hauptrolle spielen.
In dieser Ausstellung.
Geht es gut? Nein! Dieses Nein genügt nicht, genügt nicht sich selbst.
Warum? Was heisst schon gut, ich weiss es ja selber nicht.
Sie sehen schon, wir kommen nicht vom Fleck.
Das ist die bekannte Tücke des Objektes.
Warum? Weil die Figur nach einem Grund sucht.
Alles hat seinen Grund, sagen Designer und Designerinnen.
Gut! Schauen wir nach.
Übersicht - Ansicht - Einsicht: auf dem Weg zum Be-Greifen
Wie geht das?
Wie soll das gehen, aufgehen und ausgehen?
Jeder Gegenstand, den Sie zur Hand nehmen und vor Augen haben,
wirft diese Frage auf. Flasche!
A geh, Mann, easy, wo ist das Problem? Gut!
In einem Dokumentarfilm erzählt Pooja aus Indien erstaunt,
dass Deutsche jede Bierflasche mit allem Möglichen aufbringen:
mit den Zähnen oder mit einem Schlüssel etwa.
Sie kommen mithin ohne jede Gebrauchsanweisung aus.
Not macht bekanntlich erfinderisch.
Nachts vor allem, zwischen Flensburg, Friedrichshain, Frankfurt oder Flims.
Hand aufs Herz: Haben Sie je eine Gebrauchsanweisung gelesen,
meine verehrten Damen und Herren, so zu sagen ganz,
von vorne bis zum Schluss, akkurat und aufmerksam
atemlos und aufgeregt wie einen Kriminalroman,
auf der Suche nach dem Täter und dem Beweisstück?
Gut, eben nicht, auch das kennen wir?
Wie nämlich gehen Sie mit einer Gebrauchsanweisung um, besser:
Wie gebrauchen Sie die Anweisung angesichts seines Gegenstandes?
Wo ist sie schon, die verdammte Gebrauchsanweisung, sagen Sie,
wenn sich der Gegenstand
den Sie zur Hand nehmen, ihrem Willen nicht beugt,
das Gerät, das Sie bedienen, nicht macht, was es soll,
was soll das? es geht nicht!
Wenn Sie nur wüssten, wie es geht!
Gut. Sie schlagen die Gebrauchsanweisung auf und hoffen, was hoffen Sie?
Dass Sie auf die Lösung für das Problem, das Sie offensichtlich mit der Sache haben,
im Handumdrehen stossen, mir nichts, dir nichts:
Da steht es ja, das Semsam-öffne-Dich auf Seite zweihundertsiebzig
- wie in den Märchen aus Tausend und Einer Nacht -
just da, wo Sie den Wälzer,
auf dem Gebrauchsanweisung steht, aufgeschlagen haben?
Schon ist die Störung behoben und alles läuft wieder am Schnürchen.
Gut! Eben nicht. So geht es im wahren Leben ganz und gar nicht.
Es ist nämlich der Systemfehler siebzehn B aufgetreten.
Wollen Sie eine Meldung senden? Hold the line!
Ein Griff - eine Sichtweise: (arche)typisch verfügbar...
„Gutes Design macht ein Produkt verständlich“,
schreibt der Designer Dieter Rams
in seinen zehn Geboten zum Universum der Gegenstände
in der erweiterten Fassung aus dem Jahre 2002.
„Es verdeutlicht auf einleuchtende Weise die Struktur des Produktes.
Mehr noch: es kann das Produkt zum Sprechen bringen.
Im besten Fall erklärt es sich dann selbst“, verspricht er uns.
Zur Erinnerung:
1. Gutes Design ist innovativ.
2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
3. Gutes Design ist ästhetisch.
4. Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
5. Gutes Design ist ehrlich.
6. Gutes Design ist unaufdringlich.
7. Gutes Design ist langlebig.
8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
9. Gutes Design ist umweltfreundlich.
10. Gutes Design ist sowenig Design wie möglich.
[www.designwissen.net]
Verstehen Sie diese Gebrauchs-Anweisung,
verehrte Damen und Herren?
Haben Sie je einen Gegenstand sprechen gehört und zugehört,
wie er sich selbst erklärt?
Gut, geht auch nicht.
Gut ginge es, wenn der Gegenstand nämlich ohne Erklärung auskäme!
Ohne „Selbsterklärungsqualität“, wie Dieter Rams schreibt.
Offen gestanden, ich finde es äusserst mühsam,
den Begriff Selbsterklärungsqualität in den Mund zu nehmen
und erst noch zu begreifen,
geschweige denn mich in einer Kommentarspalte darüber auszulassen.
Kompliziert ist nicht zwingend komplex, einfach nicht simpel!
"A rose by any other name would smell as sweet",
schreibt William Shakespeare in Romeo und Julia.
Eine Flasche ist eine Flasche ist eine Flasche,
auch wenn sie immer das Gleiche ist, so ist sie nicht in jedem Fall dasselbe.
So selbstverständlich ist die Sache nun auch wieder nicht,
solange die Flasche nämlich nicht da ist,
in ihrer Vorhandenheit und Zuhandenheit.
In seiner Boîte verte aus dem Jahre 1934 stellt sich Marcel Duchamp vor,
er hätte einen Hut vor Augen und unter der Hand.
Jedesmal aber, wenn der Blick durch das Zwinkern der Augenlider unterbrochen wird,
vergisst er, was er soeben gesehen hat.
Und alles beginnt von vorne.
Was ist das? Was kann ich damit anfangen?
Die so genannte Selbstverständlichkeit ist also die Folge der Wiederholung,
alltäglich ausgedrückt der Gewohnheit und der Gewöhnung.
Wesen und Wohnen kommen aus derselben Wortwurzel.
So einfach ist das, wenn es in der Tat so einfach ist wie die vorliegende Flasche.
Gut, was aber ist nun das Gegenteil der beschworenen Selbsterklärbarkeit
oder Selbstverständlichkeit?
Die Nicht- oder die Un-Selbstverständlichkeit?
Ein Un-Wort, unverständlich.
So geht das nicht.
Das Gegenteil der Selbstverständlichkeit ist das Fehlen.
Weiter noch: der Fehler.
Gehen wir der Sache nach:
Folgen wir der Gebrauchsanweisung der gegenwärtigen Ausstellung!
Wo ist nur die Flasche? Wo bleibt nur die Gebrauchsanweisung?
Wenn etwas fehlt, entsteht eine Lücke, eine Lakune, die blaue Lagune,
eine Leerstelle oder ein Mangel.
Davon geht der Designprozess ursprünglich aus.
Wie bringe ich den guten Wein nun in ein Gefäss?
Und wie wird das Gefäss verschlossen?
Der Haltbarkeit zuliebe?
Schliesslich will alle Lust Ewigkeit,
um Nietzsches Gebrauchsanweisung zu befolgen. Aber wie?
Gute Fragen! Die Antwort liegt nicht immer auf der Hand.
Jedenfalls ist eine Antwort noch lange nicht eine brauchbare Lösung.
Denn eine Antwort fällt mit einem Wort, einem Satz,
die Lösung aber muss entworfen, entwickelt und tatsächlich vollendet werden.
Bewerkstelligen ist ein gutes Wort.
Und an einer bestehenden Lösung kann im Handumdrehen
wieder ein Fehler entdeckt werden. Und so weiter. Design, Design-Geschichte:
Das könnte man doch besser machen. Gut, machen wir. Gleich.
In seiner Darstellung über den Prozess der Zivilisation aus dem Jahre 1939
erzählt Norbert Elias (ich zitiere als Nomade aus der Erinnerung):
Gabel, Messer und Löffel sind nicht die Erfindung eines Einzelnen.
Sie bilden sich durch den ununterbrochenen Gebrauch und Brauch allmählich heraus,
weil jede und jeder, der die Gegenstände zur Hand nimmt,
einen Fehler oder ein Fehlen daran entdecken kann.
Und somit auf den Gedanken kommt,
die bestehende Sache zu verändern oder zu verbessern.
Das heisst: Die Idee ist eine Differenzbehauptung,
die Erkenntnis eines wesentlichen Unterschiedes.
Und aller Anfang ist die Verneinung!
Wie geht das? Gut? Nichts zu machen! Nichts zu sagen!
Wie geht das? Na, ganz und gar nicht!
Gut, machen wir es anders, machen wir es besser.
Der Name hat wenig zur Sache.
Die ausgestellten Gegenstände und Fundstücke kommen ohne Unterschrift aus.
Sie gehen vom Fehlen aus, sie schliessen jeder auf seine Art eine Lücke.
Sie beheben einen Mangel.
Sie träumen in den Vitrinen still vor sich hin und hoffen,
so schlicht und einfach wie möglich zu sein. Und zu bleiben.
So naheliegend praktisch und sachlich,
dass sie keine Fragen aufwerfen.
Fehlte noch, dass Fragen gestellt werden müssen!
Brauch und Gebrauch seien Antwort genug.
Gut! Not-wendig, an-wendig.
Kein Wort mehr.
Der Griff, meine verehrten Damen und Herren,
ist die weltbewegendste Einheit des Lebens.
Etwas im Griff zu haben, ist das elementarste Merkmal einer Beziehung,
einer Beziehungskiste.
Der Begriff aber verliert sich im Ungefähren wie die konzentrischen Kreise
auf der Oberfläche, wenn Sie einen Stein ins Wasser werfen.
So haben die vorliegenden Gegenstände,
die Sie zu ausufernden Anekdoten verführen mögen, kein Sein.
Sie verkörpern ein Da-Sein, ein So-Sein.
Es gibt sie, sagt Emmanuel Lévinas,
um allem metaphysischen Dünkel und Dunkel des Seins zu widersprechen.
Es gibt sie, darum können wir damit auch etwas anfangen.
Prost!
Was Sache ist, macht den Gegenstand aus.
Es gibt, meine verehrten Damen und Herren,
Design avant la lettre, Design als Begreifen vor dem Begriff,
Design, der ohne die betonte Ichheit eines Namens auskommt.
Yoko Tawada, die japanische Schriftstellerin macht
in ihrem legendären Buch „Überseezungen“ darauf aufmerksam,
dass es das Wort Ich in unserem gebräuchlichen Sinn
und mit dem entsprechenden Mehrwert einer Selbst-Behauptung so nicht gibt.
Das Wort „bin“ bedeutet im Japanischen „Flasche“.
Das „Ich“ ist ein Pinselansatz, die Flasche öffnet sich wie ein Raum,
ein unbeschriebenes Blatt - und die Flasche ist leer.
Nach dem Gebrauch ist vor dem Brauch:
Die Flasche muss wieder gefüllt werden.
Ich bin gut und gern eine Flasche.
In Hülle und Fülle sind die Fundstücke von Franco Clivio
hier vorübergehend gestrandet, eine Flaschenpost,
die offensichtlich macht, dass Design mehr als ein Verstehen,
ein ausdrückliches Bestehen ist.
Ein Bestehen auf den sachgemässen Gebrauch. Bei allen Sinnen.
Ein Hinweis genügt. Und ein erster Griff auf Probe.
Alles Weitere ergibt sich aus der Zuwendung, aus der Zuneigung
in der Zuhandenheit eines Gegenstandes,
der als solches nicht einmal auffallen will. Hauptsache, es geht.
Vorhandenheiten, Zuhandenheiten erweisen uns in jedem Augenblick ihren Dienst
“Solo l’amare, solo il conoscere conta,
non l’aver amato, non l’aver conosciuto.
Da angoscia di vivere di un consumato amore,
l’anima non cresce più.”
Pier Paolo Pasolini
Il est cinq heures du matin.
Vous quittez le confort douillet de votre plumard
et ce corps voisin dont vous avez le privilège de l’intimité.
Et maintenant ?
Si nous faisions un tour au marché aux puces ?
Franco Clivio s’éveille et s’émerveille. Il est le premier prêt à partir.
Franco Clivio est l’archétype du promeneur,
du rêveur qui cherche à faire arrêt sur image,
arrêt sur objet lorsque « quelque chose » fait impression au passage.
Quelque chose ? Tous ces objets pratiques qui se retrouvent ici.
Ils font impressions, empreintes, trace infaillible d’un savoir-faire habile.
Franco Clivio porte le regard avisé du connaisseur – un amoureux du design
qui est à même de dénicher toutes ces merveilles.
D’ailleurs nous ignorons quels sont les objets
qui n’ont guère suffi au regard averti de Franco Clivio,
puisque ces choses-ci, ramenées et allègrement rangées,
se trouvaient dessus dessous pele mele parmi d’autres.
Exclusivité, représentativité par amour n’est pas synonyme d’exhaustivité.
L’ingéniosité, l’imagination : atout des compétences humaines !
Encore faut-il qu’elles soient animées par ce désir immédiat de détecter un besoin,
de relever une faille, de mettre le doigt sur une lacune à combler,
à tout ce qui manque à notre bonheur.
En voici la preuve ! Du Design !
Appellation contrôlée, pédigrée assurée !
Perception précède production.
L’analyse du phainomena avise une intervention,
une invention qui a de la suite dans les idées.
A savoir : un déclic et un trucco !
Voici le prototype d’un trucco ! Montrer une vis !
Il trucco est intrinsèque à cette petite merveille qu’est « la chose » qui nous parle,
mais il se niche aussi dans le talent de faire un lien,
de créer une relation pertinente et plausible
entre l’un et l’autre.
D’où reconnaissance d’une fonction, d’un mécanisme, d’une technique à respecter.
Induction, déduction : passer à l’acte, trouver une solution à combler un manque.
La moisson de Franco Clivio est une leçon inaugurale au design avant la lettre.
Kalos et agathos, les termes-phares lancés
bien avant que Louis Sullivan les couvre de forme et fonction.
Joindre l’utile à l’agréable.
Qui dit lien, liaison, joint, dit rencontre.
Il faut bien que l’un trouve l’autre,
que Franco Clivio parte à la conquête d’une trouvaille renversante.
« A quoi ça sert l’amour ? » On connaît la chanson : au design !
Il prévient et préserve le souvenir de ce nous que nous embrassons
et que nous mettons en sommeil en quittant un lit, un lieu.
Et maintenant ?
Entre-deux, on s’impatiente, on s’occupe, on se forme, s’informe, se transforme.
On file, enfile, défile, On enveloppe, on développe.
On s’échange, on échange des bagues. Il trucco devenu symbole !
On prend place, on se déplace, on remplace.
Le design invoque, évoque et cultive l’entre-nous.
Il lui donne raison, fond et figure, forme et fonction.
Et maintenant ?
La question fondamentale du design fait surface dans l’entre-deux.
Meubler le temps, mettre les choses à la portée de la main,
caresser l’oeil dans tous les sens.
Penser-à, servir-à, faire avec, faire mieux avec ! C’est ça.
La moisson impressionnante et étonnante de Franco Clivio raconte l’éternel saga
du déclic d’une recherche et la trouvaille d’un trucco.
Dans un monde désespérément désenchanté,
tous ces objets servent à ré-enchanter le quotidien.
Du Design qui porte son nom comme un gant.
Permettez-moi de revoir le poème de Pier Paolo Pasolini,
l’éventail de cette caverne d’Ali Baba sous les yeux et sous la main.
"Solo l’amare, solo il fare conta,
non l’aver amato, non l’aver fatto.
Da una meraviglia di ricominciare ogni giorno,
Il trucco si trova, le cose si fanno, cosi - la vita e bella!"
Grazie Franco Clivio