André Vladimir Heiz, Mon. 4. February 2013
Dass Welt und Bild nicht in jedem Augenblick übereinstimmen, bleibt eine Binse,
solange diese sich mit einer intellektuellen Wahrheit abfindet.
Die entscheidende Differenz jedoch geht uns mit dem unmittelbaren Erleben
als körperliche Empfindung in der Gegenwart auf.
Dazu braucht es Musse und Zeit.
Nur eine unideologische Unvorgenommenheit spielt uns jene Eindrücke zu,
die uns auf die Differenz aufmerksam machen - und darauf beharren.
Wir müssen als Gestalterin und Gestalter bereit sein,
was wir glauben und wissen wie eine Brille abzustreifen,
damit sich die plötzlichen Eindrücke nicht in der Netzhaut verfangen.
Trägheit verführt dazu, Vorliegendes in seiner Eigenart zu übersehen.
Gewohnheit bestätigt, was wir gesehen haben.
Referenzsysteme reden uns Formen der Interpretation ein.
So ist es.
So kann es nicht bleiben, sagen wir als Gestalterin und Gestalter. Zu Recht
Anders wird es, wenn unsere Vorstellungen und die Welt auseinanderklaffen.
Schneegestöber kann eine ganze Stadt durcheinanderbringen.
Baustellen stehen von einem Tag auf den andern im Weg.
Äussere Einflüsse machen Veränderungen wahr.
Noch anders ist es mit den inneren Bildern,
die auf die Wirklichkeit treffen.
Gestaltung beginnt mit dieser Begegnung hautnah und greifbar,
an der Schnittstelle zwischen Vorstellung und Darstellung.
Damit ist, falls es ihr ernst ist, mehr gemeint als ein schaler Begriff.
Unsere Vorlieben für die gestalterische Gegend gehören zur Brille.
Sie macht auf einem Grund die Figur zum gestalterischen Gegenstand.
Damit ist etwa ein Flughafen nicht länger ein Flughafen an sich.
Architekten oder Designer, Typographen oder Photographinnen richten ihre Aufmerksamkeit
auf unterschiedliche Ausschnitte oder formale Einzelheiten,
räumliche Anordnungen oder materielle Gegebenheiten.
Gerade anhand des Einzelfalls treffen im Prinizp
Vorstellungen und Darstellungen spürbar aufeinander.
Bald sind wir angenehm überrascht, bald enttäuscht oder gar entsetzt.
Vieles ist besser zu machen. Kein Zweifel.
Der Gestaltungsbegriff ist eine eindeutig empirische Antwort
auf das Erhabenheitsideal und die Urteilskraft von Kant.
Er ist der Anteilnahme an der Gegenwart verpflichtet.
Er überspielt damit den Übergang von einer Vorstellung zur Darstellung nicht.
Er nimmt gleichzeitig jene Lücke oder Lakune zur Kenntnis,
in die der Dichter Stéphane Mallarmé seinen Würfel fallen lässt.
An dieser Stelle nämlich entscheidet sich,
was wir im Einzelfall unter Gestaltung betrachten und behandeln wollen.
Und genau darauf kommt es an.
Vorgefundenes, Entstandenes kritisch zu beurteilen steht am Anfang der Gestaltung.
Das gestalterische Handwerk misst sich an der intimen und intelligenten Kenntnis
eines Gegenstandes, der durch die Form der Anwendung
als solcher zur Welt kommt. Die Brille erfüllt ihren Zweck.
Im alltäglichen Gebrauch jedoch vertauschen und vermischen sich die Standpunkte.
Oder sie folgen durch den kanonischen Ablauf unserer Handlungen aufeinander.
Der Flughafen ist in einem Mal nicht mehr als ein Schalter oder ein Sandwich.
Ontologische und metaphysische Kategorien verraten das gestalterische Anliegen
in jedem Fall an eine obskure Wahrheit.
Gestalterische Gegenden vernachlässigen den lebensweltlichen Zusammenhang,
der durch Bedarf und Brauch in der Gegenwart entsteht.
Die Wahrnehmung bleibt ununterbrochen auf dem Laufenden
und spielt uns und unserem Körper jene unterschiedlichen Standpunkte zu,
auf die es im entscheidenen Augenblick ankommt.
Dass die Lückenlosigkeit des sogenannt theoretischen Diskurses,
dass die Scheuklappen der Praxis durch die déformation professionnelle
den Zusammenhang nicht als ein synkretisches Gesamt
wechselhafter Eindrücke wahrnimmt, zeigt,
dass der blinde Fleck durch die Brille nicht ausser Kraft gesetzt wird.
Wir müssen Lust haben, den Bruch zu überbrücken.
Durch das gestalterische Ereignis in der Wirklichkeit.
Dieser Übergang, der durch die Praxis zu bewerkstelligt wird,
stimmt mit dem abenteuerlich empirischen Begriff der Gestaltung
vollkommen überein!