André Vladimir Heiz, Donnerstag, 1. August 2024

Paradigma 234

Kurz gefasst:

°          An die dreissig Jahre meiner bildnerischen Aus-Ein-Ander-Setzung

hat mich ein Zeichen begleitet.

°          Es hat sich in den künstlerischen Prozess integriert:

als Einzelfall und als Element unterschiedlicher Kompositionen.

°          Auf Papier, Karton oder Holz

hat es sich in seinem ästhetischen Eigenleben behauptet.

 

 

 

 

 

Das Zeichen zeigt sich!

Das ist es! Ein Zeichen, dieses Zeichen da.

Es ist ein Hinweis an die Wahrnehmung.

Sie soll sich damit aus-ein-ander-setzen.

Zunächst spielt es seine appellative und affektive Funktion aus.

Die Sinne wissen, woran sie sich zu halten haben.

Das Zeichen ist offensichtlich. Als solches eine Vergegenwärtigung.

Es ist gesetzt, als Form einer Darstellung den Sinnen ausgesetzt.

Es ist im eigentlichen Sinne des Wortes eine Ansichts-Sache.

Der Befund setzt sein Befinden voraus. Als Figur auf einem Grund.

Der Anschauung eröffnet sich ein Reigen weiterer Ansichten.

Assoziative und argumentative Spekulationen nehmen überhand,

sobald die Frage auftaucht: Was ist das? Das Dingsda – ein Unding:

Ein Flügel? Ein Bumerang? Eine Schwalbe im freien Flug?

Die Silhouette eines Fliegers aus Papier? Was weiss ich!

Der Schatten eines Dreiecks, das Wind und Sturm ausgesetzt ist.

Muss es in Wirklichkeit mehr sein, als was es bildlich darstellt?

Ein Zeichen eben. Dieses Zeichen da. Das ist alles!

 

Zeichnen, aufzeichnen, auszeichnen

Die Sprache ist schwer von Begriff:

Die Bezeichnung tut wenig zur Sache!

Analogien sind ein Schachzug des Denkens

als Vergewisserung vor dem Namenlosen!

Der nominale Nennwert, den die Sprache einfordert,

wird durch die Metamorphosen des Zeichens indes Lügen gestraft.

Da ist und Das ist sind für ein freies Auge gleichbedeutend.

Als künstlerisches Ereignis. Ein Wink an die Wahrnehmung.

Reden macht die Sache selten besser.

 

Es ist, was es ist! Als Zeichen! Dieses Zeichen da.

Als gezeichnetes, aufgezeichnetes, ausgezeichnetes Etwas

in seiner erkennbaren Anwesenheit in einem Blattraum,

ohne sich auf den ontologischen Kuhhandel einzulassen.

Die kognitive Relevanz ist weit mehr als eine Aussage,

wenn die Erkenntnis – bei allen Sinnen – unter die Haut geht!

Die Übersicht hat selten den ganzen Überblick.

Der Einblick führt nicht zwingend zu einer haltbaren Einsicht.

Rücksicht und Vorsicht vor dem Zugriff der Sprache sind angebracht,

wenn das Zeichen unter der Hand und vor meinen Augen

aus dem Kanon herkömmlicher Zuordnungen ausbricht.

Ich lasse nämlich das Zeichen machen, was es will. So weit es geht.

 

 

In Aneignung

Learning by doing: Ich eigne mir das Zeichen an.

Indem ich tatsächlich einfach zeichne. Tag für Tag.

Ich beobachte und betrachte das Zeichen im Entstehen.

Es nimmt mich bei der Hand. Es führt mich weiter.

Bald will es sich vereinzeln, bald will es sich vermehren.

Einmal setzt es sich als Einzelfall prominent in Szene,

dann aber kehrt es in der Wiederholung wieder in den Grund ein.

Vor dem Bild ist nach dem Bild: Hinterlassene Zeichen geben Auskunft.

Sie sind eine Aufforderung zum Tanz mit der Wahrnehmung.

Schritt für Schritt leitet mich das Zeichen an,

unterschiedliche Formen der Anwendung zu erproben,

im Rhythmus seiner allmählichen und vollendeten Phänogenese.

So lerne ich das Zeichen eigentlich kennen, unter der Hand am Machen,

ohne genau zu wissen, was es nun abschliessend ist!

Ich lerne durch das künstlerisch-technische Handwerk

damit umzugehen und darauf einzugehen,

ohne logisch-kausal auf die Herrschaft anzusprechen.

Ich stehe nicht über dem Zeichen! Ich bin es auch nicht.

Dieses Zeichen ist der Ur-Sprung aller möglichen Spekulationen,

ein Wegbegleiter empirischer Ausflüge in Zeit und Raum.

Es zeigt sich, was es meint. Das liegt in seinem Wesen.

Was für ein Zeichen!

 

 

Ich habe es nicht gesucht. Es wurde mir zuteil, unter der Hand:

Quintessenz und Initialzündung zugleich. Das Zeichen da.

Es blieb als Findling einer lyrischen Abstraktion übrig,

die mich Jahre in Atem hielt. Es hat mich buchstäblich verfolgt.

Die archetypische Form der Visualisierung als hybrides Zeichen

spielt weder auf eine ikonologisch mimetische Erkennbarkeit an,

noch ist es eindeutig dem geometrischen Inventar zuzuordnen.

Im Weder-Noch liegt der Reiz. Oder im Sowohl-als-auch.

Die Galeristin Denise Renée meinte zu Recht ein Mal,

mein Zeichen wolle Energie in die geometrische Fixierung zaubern.

Ich könnte auch von einem ikonischen Eigenleben reden,

das das Zeichen am Werden für sich einfach behauptet .

Gerade durch die Phänogenese seiner Entwicklung und Darstellung.

 

 

Das Zeichen wollte sich anscheinend befreien, um zu sich zu kommen.

Nach zwei grosse Ausstellungen in Paris und Chicago 1984

mit Kompositionen, die an die Zürcher Konkreten erinnern,

und einer umfassenden Werkschau 1986 im Kunsthaus Glarus

begann es entschieden, seinen eigenen Weg zu gehen.

Allen Konventionen und jeder Stilbildung zum Trotz.

Ich habe mich seinem Dasein willenlos ergeben.

Ich bin nicht umsonst ein leidenschaftlicher Semiotiker.

Theoretisch und praktisch. Künstlerisch und wissenschaftlich.

Die strukturellen Anfänge des Zeichens finden sich bei Aristoteles.

In seinem Organon führt er geradezu spielerisch vor,

wie Begriffe entstehen: durch sinnfällige Formen der Beziehung nämlich.

Die Energie oder das Potential aller Zeichenhaftigkeit

bildet das ausschlaggebende Moment jeder Bedeutung.

Die primäre Satzung der Beziehung als ästhetisches Ereignis,

das in meinem Zeichenwerk die Hauptrolle spielt,

hebelt die Frage nach dem Ursprung aus. Huhn oder Ei?

Das logisch-kausale Dilemma wird von der Chronologie beschattet.

In einem räumlich-sphärischen Dispositiv geht nicht alles der Reihe nach!

Am Anfang, so es diesen wahrlich gab, war die Beziehung.

Das Eine durch das Andere: Tohuwabohu, wie es im Buche steht.

So ist Eros, der Glieder-Verbindende, in der Theogonie von Hesiod

allen Göttern stets um eine Nasenlänge voraus.

Er hat das Merkmal der Beziehung im Griff: Er trifft die Mitte immer!

 

 

Es ist unbestritten Algirdas Julien Greimas zu verdanken,

dass sich die Semiotik der Visualisierung und Medialisierungen

von den Klauen einer nominalistischen Linguistik befreit hat.

Ich habe bei ihm an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences sociales

in Paris studiert und ästhetische Phänomene erforscht.

Auf diesem Hintergrund ist mein Zeichen-Werk

auch als empirische und experimentelle Feldforschung zu sehen.

Künstlerisch und wissenschaftlich – ganz im Sinne der Scientia,

wie sie schon Leonardo da Vinci leitbildend versteht.

Als Aufstand gegen die geistige Vorherrschaft höherer Künste,

die mit ihrem hehren Machtanspruch das letzte Wort haben wollen.

Figur und Grund - vorbildlich

Das schwarze Quadrat von Malevich bleibt als religiöses Relikt eine Ikone.

In russisch-orthodoxer Hinsicht. Die Magie liegt in der Versenkung.

„Gott ist nicht entthront“: So überschreibt er einen seiner Texte.

Die meisterhafte Linienführung von Matisse umreisst dagegen profan

einen Körper oder Gegenstand ohne Unterbruch. Das ist die Absicht.

So etwa wie ein Fünfeck durch eine einzige Bewegung der Hand

zur Figur wird. „Incarnatus est!“ Das Bild wird Körper.

Das vorliegende Zeichen liebt Anlehnungen in aller Form..

Es hat aber keine tiefere oder höhere Bedeutung.

Es trägt die Motivation in sich, die Magie der Syntax

nicht aus den Augen zu verlieren.

„Es gibt“, sagt der Philosoph Emmanuel Lévinas

und erteilt jedem ontologischen Wahn eine klare Absage.

Das Zeichen genügt sich selbst in seinem Gebrauch,

in seinem Da und So. Was es ist, ist auf den Bildern zu sehen.

Es hat aber keinen Hang zu illustrativen Referenzen.

Es gibt dieses Zeichen; das genügt. So ist es!

 

Die Semiotik, die Quantenphysik, morphogenetische Felder

und die Schwarmbildung bestimmen den atmosphärischen Grund,

auf dem das Zeichen hier flügge wird, um sich zu behaupten.

Es ist immer dasselbe, aber nie das Gleiche.

Die nicht-identifizierbare Figur ist die Schnittstelle von Widerstand,

Halt und Bewegung. Es artet ja schnell einmal aus,

und der Eigensinn der Zeichen geht im Ungefähr des Rauschens auf.

Die Grenze der Geste macht etwa Jackson Pollock erlebbar.

Auf die Prekarität und Anmut der handschriftlichen Lautbildung

und Chiffrierung zeigt Cy Twombly mit blossem Finger hin.

 

Während es die abendländische Höhlenmalerei ikonographisch

auf den Verlauf umgrenzender Konturen abgesehen hat,

geht der chinesische Darstellungsmodus von der Konsistenz aus.

Die etruskischen Darstellungen vereinigen beides –

bis hin zur ornamentalen Wirkung der Wiederholung.

Eine Serie an Bildern ist ausdrücklich den Etruskern gewidmet.

Léon Spilliaert wiederum macht praktisch vor,

wie Farbstifte dem Eindruck zum Klangbild verhelfen.

Die Kunst-Geschichte ist eine offene Werkstatt.

Da gehe ich ein und aus – Bilder sind nie fertig.

Freilich, meine Vorgehensweise und Insistenz der Wiederholung

können auch als Hommage an El Lissitzky gesehen werden.

Mit Proun wacht der Traum einer elementar ästhetischen Grammatik

für alle gestaltbildenden Künste in der Wirklichkeit auf.

Die Formwerdung kommt kontextspezifisch zur Anwendung.

Am Werk

Bald Bild – mit malerischen Mitteln,

bald Schrift – als kalligraphische Spur,

auf barem oder bearbeitetem Papier,

auf behandeltem Karton, auf rohem Holz als Unterlage

haben diese Konfigurationen allen Grund, im Bild zu sein.

Sie bespielen die Spannung der Beziehung von Fall zu Fall.

Die Figur ist in ihrer Gegenwart bedeutungsunterscheidend,

ohne selbst schon bedeutungstragend zu sein.

Das algorithmische Kunststück liesse sich auch programmieren.

Das Werkzeug ist auf dem Laufenden.

Hand und Auge verlassen sich auf die Scharnierstelle der Synapsen.

Es handelt sich tatsächlich um eine Maniera der Ausführung.

 

 

Das Zeichen ist eine grundlegende Bedingung,

an die sich die Möglichkeiten der Bildfindung halten.

Die Hand weiss, was sie zu tun hat.

Paarbildungen – anziehend und abstossend – und Spiegelungen

in kaleidoskopartiger Zersplitterung geben den Ton an.

Das Spiel meint es ernst. Ohne weitere Absichten.

Die Ästhetik als Organon aller Sinne hat das letzte Wort.

Die moralische Entrüstung, die weltanschauliche Aufrüstung

und der metaphysische Dünkel haben hier nichts verloren. Alles klar!

Diese Kunst ist kein Kommentar. Die Welt ist nicht nur ein Bild.

Das Ur-Teil der Wahrnehmung hält sich an die Verwandlung des Zeichens.

Phänogenetisch und prototypisch kann es seine Anwesenheit

auf dem Blatt solitär und bar behaupten oder aber:

Farben, Finger, Pinsel und Stifte machen es opulent und arabesk

zu einer Augenweide. In der Vervielfachung.

Die Mittel sind ein Thema ihrer Selbstdarstellung.

Die Ausbeute der Varianten und Variationen ist von empirischer Reichweite.

Vieles wird entworfen und verworfen, als Zeichen-Spur festgehalten

oder vernichtet. Der Befund des ästhetischen Labors ist kein Beweis.

Les jeux sont faits – L’art pour l’art: ein Kinderspiel!

Das ist ein Bekenntnis . Das Zeichen ist im Bild.

 

 

Anatomisch, phänotypisch, genealogisch –

in einem intentionalen und extensionalen Sinne:

als Einzelfall, als Dialektik des Dualen, als Trias,

als Wiederholung, Spiegelung und Multiplikation:

Die Versuchs-Anordnung nimmt ihren Lauf in der Anwendung.

Zeichen treffen Zeichen: Koinzidenz der Begegnung.

Im bildnerischen Kontext beeinflussen sie sich gegenseitig.

Sie unterwandern, durchkreuzen und überlagern sich

in einem Mit-Ein-Ander ikonographischer Konstellationen.

Körper zu Körper, Figur an Figur auf wechselndem Grund.

Das Spiel könnte leichterhand durch eine digitale Deklination

systematisiert werden. Als umrissenes Feld der Forschung.

Ich bin beim ursprünglichen Handwerk geblieben.

Aus lauter Freude am Entwerfen, Verwerfen und Festhalten.

Das Ritual der Artes mechanicae und der Techne

hat als Manöver durchaus etwas Liturgisches.

Die Episteme und die Gnosis gehen sinnlich daraus hervor.

Indem ich mir am Machen ein Bild vom Bild mache,

komme ich kognitiv der Wirkung, die Zeichen unmittelbar auslösen,

auf die Spur. Wahrnehmen wahrmachen: Das ist es genau.

 

 

Paradigma 234: Ein dreieckiges Buch,

herausgegeben von Carlo Mettauer von der Galerie 6 in Aarau,

gibt mit Unikaten Einblick in die Zeichenwerkstatt.

XY: Ein Katalog, herausgegeben von Carlo Cardazzo in Venedig,

vereinigt eine Serie, die der Opulenz frönt.

 

In eigener Sache:

Auch das Schicksal spielt Zeichen aus:

Eine beachtliche Anzahl an Zeichnungen

ging bei einem Wasserschaden baden.

Eine ganze Reihe an mehrblättrigen Kompositionen sind verschollen.

Im Archiv eines glücklosen Galeristen in Paris.

Und in einem Haus in Le-Plan-de-la-Tour in Südfrankreich.

 

Ein einziges Blatt fasst die Geschichte dieser Bilder zusammen.