André Vladimir Heiz, Sonntag, 1. Juni 2014

Paco Carrascosa - Johnnie Walker on the beach

Johnnie Walker on the beach:

Eindrücke des Lebens on the road

Matinée zur Publikation von Paco Carrascosa

In der Ausstellung an der Bärengasse Zürich,

am 13. April 2014

1. Grund

Das Werk von Paco Carrascosa bildet hier

- um Henri Cartier Bresson das Wort zu reden:

das „auslösende Moment“, den Wirkungen seiner Bilder auf die Spur zu kommen.

 

Paco hat seine Eindrücke als Aufnahmen

akribisch und absichtlich gesammelt.

Das ist dem umfangreichen „Lebenswerk“

als „Enzyklopädie des Augenblicks“ anzusehen.

Umsichtig herausgeben von Irene Jost,

gestalterisch in Hochform gebracht von Emanuel Tschumi.

Was aber wäre der nachfolgende Text ohne die Bilderwelt von Paco Carrascosa?

Bestellen, schauen, staunen und blättern werden hier vorausgesetzt.

 

 

 

 

Buchbestellungen:

im Buchhandel / oder beim Autor: mail@paco-carrascosa.ch

 

Francisco Paco Carrascosa

Johnnie Walker on the beach

Eine fotografische Erzählung in 2640 Bildern

 

5 Fotobände à 528 S., 2640 Abb. in Farbe, 14,8 x 22 cm,

Softcover in Schuber; Booklet s/w (32 S.)

Verlag für moderne Kunst Nürnberg, ISBN 978-3-86984-361-2

Limitierte Auflage 300 Ex., nummeriert/signiert: Euro 149.– / 185 CHF

Fotografien: Francisco Paco Carrascosa

Hrsg.: Irene Jost

Gestalter: Emanuel Tschumi

Texte: Matthias Oberli, Caroline Morpeth,Urs Stahel

 

Bilder, Texte, Presse/Download:

www.paco-carrascosa.ch/de/johnnie-walker-on-the-beach.html

 

Selbstverständlich kann man sich da auch von der Ausstellung ein Bild machen.

 

 

 

Ich verfolge Paco Carrascocas Bilderfang seit langem.

Die folgende Nachschrift meiner Rede folgt seinen Absichten auf den Fersen.

Sie wird hier in einer verdichteten Form aufgezeichnet,

um zahlreichen Anfragen nach einer Spurensicherung zu entsprechen.

Offenbar haben Augenblick und Aufnahmen Eindruck gemacht,

ein Eindruck, der sich Nachhall wünscht. Wohlan!

 

2. Figur

„There is only you and your camera.

The limitations in your photography

are in yourself for what we see is what you are.“

Ernst Haas (1921-1986)

 

2.1. Am Anfang war der Eindruck

 

Es ist immer das dasselbe, aber nie das Gleiche:

alles beginnt mit „etwas“, das uns Eindruck macht.

Wir haben Eindrücke, wir machen uns ein Bild davon.

Das ist – wie alles – schneller gesagt als getan.

Die Augen „walken“ trunken durch die Welt. Halt auf Verlangen:

Da ist, das ist ja der Paco, der neben mir sitzt und Bilder

aus seiner Sammlung an die Wand projiziert.

Paco Carrascosa! Du da – zum Greifen nah, Glück gehabt!

Der Eindruck wird in einem Ausdruck eingefangen.

Das Augenzwinkern und der Fingerzeig haben einen Namen.

Er erfüllt eine appellativ-affektive Funktion.

 

2.2. Und schon ist ein Ausdruck zur Stelle

 

Der Eindruck wird durch einen Ausdruck gedeckt, kein Zweifel, er trifft auf Paco zu.

Der Ausdruck weist auf ihn hin, er weist ihn aus. In der Tat, er ist da.

Alles dreht sich hier um Aufnahmen und Augenblicke.

Wir haben die beiden Wörter schnell und leichtfertig zur Hand.

Klick: was aber verstehen wir unter dem Begriff „Aufnahme“

und dem eindringlichen Appell „Augenblick“?

Können Sie mich, meine Damen und Herren, bei der Hand nehmen

und mir den „Augenblick“ persönlich vorstellen, damit ich mir ein Bild machen kann?

Naheliegender ist es, durch die parallelen Sphären von Paco Carrascosa zu streifen,

den Augen freien Lauf zu lassen, um an Ort und Stelle der Bilder zu erkennen:

Paco Carrascosa macht Aufnahmen von Augenblicken.

Er findet angemessene und eindrückliche Darstellungen dafür.

Er macht sich ein Bild davon, auf und davon, auf den Spuren Johnnie Walkers,

sein Doppelgänger. Einmal ist keinmal, zwei auf einen Streich,

Hand in Hand, Augenblick und Aufnahme sind ein Paar.

 

2.3. Augenblick: Aufnahme!

 

Theoria kommt bekanntlich von Schauen.

Schauen wir den verführerischen Begriffen Aufnahme, Augenblick, Eindruck nach,

um zu sehen, ob sie halten, was sie versprechen.

Unter den genannten Wörtern können Sie sich,

meine verehrten Damen und Herren, vorstellen, was sie wollen.

Niemand kommt Ihnen auf die Schliche.

Gewiss, der common sense oder der gesunde Menschenverstand

sichert uns einen gemeinsamen Kern einer Denotation zu:

Sie wissen, was gemeint ist, Aufnahme, Augenblick, Eindruck, Vorstellung

und Darstellung sind keine Fremdwörter. Alles klar, déjà-vu!

Wir stellen uns unter Aufnahme, Augenblick, Eindruck „etwas“ vor.

Wo aber bleibt die Darstellung dafür?

Solange es beim Aufzählen von Wörtern bleibt, ist die Vorstellung getarnt,

weil der Ausdruck in seiner Darstellungsform die Konnotationen verheimlicht.

Anders ist es, wenn der Eindruck durch den Ausdruck offensichtlich wird,

offenkundig gemacht durch die Aufnahme des Augenblicks.

 

2.4. Der grammatikalische Singular verpasst die Singularität des Eindrucks

 

Aufnahme? Augenblick? Eindruck? Ausdruck?

Was bitte hat hier die Einzahl zu suchen, wo das umfassende Werk

Paco Carrascosas eindeutig darauf hinweist,

dass es sich um eine ununterbrochene Folge von Eindrücken handelt,

die durch die Reihe der Aufnahmen zum Ausdruck kommen.

Die Aufnahme von Augenblicken macht offensichtlich,

dass der grammatikalische Singular der Sprache

vor den Singularitäten des Bildes versagt,

weil es durch die Darstellung dem Einzelfall ausdrücklich

Eigenart und Einzigartigkeit verleiht.

Der grammatikalische Singular ist eine Annahme ohne Aufnahme,

eine Idee, deren Währung durch das Erlebnis des Augenblicks nicht gedeckt ist.

Die tatsächliche Aufnahme überbietet den Singular durch seine eigenwillige Singularität.

Zugespitzt: wenn es zur Aufnahme nicht kommt, findet der Augenblick nicht statt.

Wie bitte? Blättern Sie durch das Strandgut von Paco Carrascos, halten Sie inne,

schauen Die den Augenblicken nach, um sich ein Bild zu machen.

Wovon? Dass der Augenblick als solcher nicht erfasst wird,

solange nicht eine zweite Aufnahme auf seiner Gegenwart beharrt

und auf seine Einzigartigkeit aufmerksam macht.

 

2.5. Klick: Einmal ist keinmal

 

Die Aufnahmen sind ja da: Sie sehen sie mit eigenen Augen!

Wo aber ist hier der Augenblick?

Können Sie tatsächlich auf den einzelnen Augenblick hinweisen,

wirklich mit dem Finger auf ihn zeigen?

Und gäbe es ihn, den unmittelbaren Augenblick, mitten unter uns,

wie wollte er sich ausweisen, um sich zu erkennen zu geben?

Pass dabei? Passwort nicht vergessen? Johnnie Walker, Sie sind es doch,

kaum zu glauben, schön, dass Sie da sind, nice to meet you!

Moment – ist es mehr als eine optische Täuschung, eine voreilige Verwechslung?

Genau – ein zweiter Blick entlarvt Sie als Momentaufnahme!

Johnnie Walker, Sie machen mir damit noch keinen Eindruck.

 

2.6. Ohne Aufnahme kein Eindruck

 

Hand aufs Herz, meinen Damen und Herren, wann hatten Sie den letzten Eindruck?

Können Sie etwa auf den jüngsten Eindruck eines umwerfenden Augenblicks

zurückkommen und darauf hinweisen? Schon vorbei!

Die Augen sind immer in Fahrt, Johnnie Walker auf den Fersen, ausser Atem.

Kurz gesagt: Der Augenblick ist immer auf der Flucht.

Nur die Aufnahme bringt ihn auf den Punkt.

Der Eindruck ist somit – im eigentlichen Sinne des Wortes –

auf die Aufnahme angewiesen. Sie kommt auf den Augenblick zurück.

Und erst eine zweite Aufnahme zeigt, dass es einer war.

Ja, die Aufnahmen von Paco Carrascosa zeigen es eindrücklich:

Nur die Vergleichbarkeit macht darauf aufmerksam, was am Augenblick dran ist.

Der erste und der zweite Blick machen gleichzeitig Eindruck

und dieser macht wiederum die Aufnahme zur Ausnahme!

Will sagen: Ohne Aufnahme kein Eindruck!

 

2.7. Mit eigenen Augen

 

Heute morgen, meine Damen und Herren, versuchte ich ganz praktisch

einen Eindruck zu haben: angesichts einer Schilfpflanze im Wind.

Ich sass im Garten und versuchte mir einen Eindruck vom Eindruck zu machen.

Ohne Stillstand, ohne Standbild kann von Eindruck keine Rede sein.

Alles ist in Bewegung: das Schilf, der Wind, die Augen.

Ja der Blick wird durch den Lidschlag der Augen ständig unterbrochen.

Wir haben es mithin immer schon mit einer Folge von Eindrücken zu tun,

die durch den Augenblick erfasst, zusammengefasst werden.

Vom blinden Fleck ganz zu schweigen, dessen Lücke wir ununterbrochen überspielen:

wir nehmen die Löcher im Käse unseres Weltbildes ja nicht wahr.

Wir füllen sie augenblicklich mit den fehlenden Eindrücken aus.

Wir ergänzen, was uns der blinde Fleck vorenthält.

Zugespitzt: Der Augenblick ist nicht gegeben, weil sein Eindruck gemacht ist.

Nach allen Regeln der Kunst durch einen Griff, einen Zugriff und Eingriff.

Achtung: wir reden von Aufnahmen.

 

Stellen Sie sich vor, William Turner walkt mit seinem Pigmentwagen

über die Brücke der Themse. London brennt! Und das Bild?

Es braucht Zeit, die wandelnden Eindrücke auf die Leinwand zu bannen,

was bei einem hurtig hingepinselten Aquarell leichter gelingt, vor allem wenn es regnet

und das Nass das Resultat merklich verbessert.

Der Augenblick entsteht durch das Sichten und Schichten von Eindrücken;

somit sind Bilder sind das exemplarische Palimpsest von Aufnahmen.

Bilder bündeln eine rastlose Folge von inneren Regungen und äusseren Bewegungen

als Eindruck eines Augenblicks.

Wir nehmen ihn an und auf, er nimmt sich aus, wir können uns davon ein Bild machen,

ein Bild auf Stand, auf Zusehen hin, hier und jetzt

oder als Endstation Sehnsucht für die Ewigkeit der anhänglichen Erinnerung!

 

2.8. Aufnahmen kommen zum Bild

 

Achtung: wir reden von Aufnahmen, bevor ein Bild entsteht,

auch wenn wir uns von Aufnahmen ein Bild machen können.

Aufnahmen werden, es versteht sich, durch Aufzeichnungen

des photographischen Instrumentariums begünstigt.

Aufnahmen entstehen nicht in der Obhut eines Ateliers,

wo sie sich unter der Hand allmählich abzeichnen, nein,

sie sind bei Wind und Wetter dem Leben abgelauscht.

Paco Carrascosa fängt Aufnahmen ein wie Nabokov einst seine Schmetterlinge.

Aufnahmen sind eine unteilbare Mitteilung des Augenblicks,

auch wenn dieser durch den Hinweis, den Beweis der bildlichen Darstellung

geteilt wird wie Brot und Wein – oder ein Kuss.

 

Inzwischen, so scheint mir, gibt es auf dieser Welt mehr Bilder als Menschen,

nein, Aufnahmen sind gemeint,

die den Menschen als Gegenwart von Augenblicken auszeichnen.

Der Augenblick, der bereits eine Reihe von Eindrücken vereinigt, ist einer unter vielen.

Wir selbst sind die Bündelung wiederholter Eindrücke und Aufnahmen,

die bei weitem übertreffen, was wir sind.

Wir können es kaum glauben und wollen uns darüber immer wieder vergewissern.

Eindrücklich ist es, Menschen beim Aufnehmen so genannter Selfies zuzuschauen.

Auf frischer Tat ertappt.

Das Lächeln oder gar befreiende Lachen erinnert mich jedes Mal

an den legendären Text von Henri Bergson,

der von der Erfindung des bewegten und bewegenden Bildes beeindruckt war.

Beim sofortigen Anblick der (eigenen) Aufnahme stellt sich etwas ein,

das ich nur mit Unschuld umschreiben kann.

Es kommt aus der Wiederholung des Erstaunens,

das sich mit jedem Eindruck eines Augenblicks von Neuem einstellt.

 

An dieser Stelle wurde ein Video einer Live-Aufnahme

von Vicky Leandros eingeblendet, bevor wir zu einem heiteren Dialog

über das Leben und die Liebe als die Kunst des Augenblicks übergegangen sind.

Mit Paco Carrascosa coram Publikum.

(Heinrich Heine wäre in meinen Augen ein begnadeter Schlagerdichter gewesen.)

"Nein, sorg Dich nicht um mich, Du weisst, ich liebe das Leben"...

 

Paco Carrascosa walkt auf den Spuren des Lebens,

das ohne das Werk wenig Eindruck hinterliesse.

Das Leben ist ein offenes Archiv von Aufnahmen.

Ein Blick indes genügt nicht, es braucht ein zweites Bild,

um der Einzigartigkeit der Eindrücke auf die Spur zu kommen.

Paco Carrascosa zeigt es mit aller Deutlichkeit in diesem Werk,

das bereits nach einer Fortsetzung ruft.

Eine Aufnahme ist keine Annahme.

Es ist immer das gleiche, aber nie dassselbe,

denn auf jeder Doppelseite dieser Bilderreise hinterlässt die Ansicht

unseres lebensweltlichen Daseins einen andern Eindruck.

Bleiben Sie ganz bei Sinnen, in jedem Augenblick, meine Damen und Herren,

im Namen von Paco Carrascosa bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Überarbeitet wurde diese Textspur in der charmanten Raucherbar von Silvio Klinger

in Friedrichshafen, wo mir Johnnie Walker prompt über den Weg lief...